Die Erweiterung der Gesetzgebungskompetenz des Europäischen Parlaments – jetzt oder nie?
Mehr Rechte für das Europäische Parlament bedeutet mehr Demokratie in Europa
Die Geschichte des Europäischen Parlaments ist eng mit den Integrationsfortschritten der Europäischen Gemeinschaft als ganzes verbunden. Vor seiner Namensänderung im Jahre 1962 trug das spätere Europäische Parlament den Namen „Gemeinsame Versammlung“. Diese wurde im Zuge der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) ins Leben gerufen und hatte nur eine beratende Funktion. Die Mitglieder dieser Institution waren Abgesandte der Mitgliedstaaten und keine gewählten Abgeordneten.
Die erste Direktwahl für ein „Bürger-Europa“
Im Juni 1979 wählten die Bürger der EG-Mitgliedsstaaten das erste freigewählte Europäische Parlament. Diese Wahl war ein Meilenstein für die demokratische Legitimation des Europäischen Gemeinschaftsprojekts, weil sie die Bürger der Mitgliedsstaaten zu wählen Europas gemacht hat. Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten haben früh verstanden, dass Europa nur funktionieren kann, wenn die Menschen aktiv eingebunden werden.
Wie viel Macht hat das Parlament heute?
Durch den Vertrag von Lissabon kann das Europäische Parlament in ca. 90 Politfeldern mitentscheiden - davor waren es nur 40. Durch die Erweiterung der Befugnisse gewinnt das Parlament deutlich an Einfluss im institutionellen Gefüge der Europäischen Union. Besonders in den Bereichen Haushalt und Handelspolitik ist eine spürbar größere Rolle des Parlaments zu beobachten. Bei internationalen Handelsabkommen muss das Parlament in „allen Phasen der Verhandlungen informiert und konsultiert werden (Brok, 2010). Der Vertrag von Lissabon hat dem Europäischen Parlament größere Mitbestimmungsrechte eingeräumt und dadurch auch mehr Verantwortung übertragen.
Warum braucht Europa ein starkes Parlament?
Das Europäische Parlament steht im Zentrum eines starken, bürgernahen und handlungsfähigen Europa. Wer mehr Demokratie und Transparenz in der EU fordert, muss dem Europäischen Parlament noch mehr Macht zusprechen. Wichtige Grundsatzentscheidungen der europäischen Politik sollten nicht ausschließlich hinter verschlossenen Türen getroffen werden. Deshalb sollte das Europäische Parlament noch mehr in die Verantwortung gezogen werden. Es ist hierbei von großer Wichtigkeit, dass das Parlament selbst Gesetze einbringen kann und somit nicht nur reagiert, sondern auch agiert.
Dieser Artikel präsentiert bewusst nur eine der zahlreichen, divergierenden Meinungen zu diesem kontroversen Thema. Sein Inhalt entspricht nicht zwingendermaßen der persönlichen Meinung seines Verfassers. Bitte sehen Sie hierzu Die Philosophie von Duel Amical.
Wider dem EP heute heißt nicht wider einer europäischen Demokratie
Das Europäische Parlament (EP) stellt, zusammen mit dem Rat der Europäischen Union als Vertretung der Nationalstaaten und der Europäischen Kommission als genuiner Repräsentation der EU, das ursprüngliche institutionelle Dreieck der EU dar. In diesem Kontext waren zu Beginn der Europäischen Gemeinschaften (EG) die legislativen und exekutiven Kompetenzen ungleich verteilt. Dies reflektierte die politische Realität in Europa, in welcher der Volkswille in einem nationalstaatlichen Kontext definiert wurde und politische Partizipation lokal, regional und national aber kaum europäisch stattfand. Vertreter der Regierungen kamen auf europäischer Ebene zusammen um Probleme zu lösen, die nur durch gemeinschaftliche Kooperation gelöst werden konnten. So etwa zunächst die Friedenssicherung in Europa, dann die Regulierung des Binnenmarktes und schließlich eine immer größere Anzahl von unmittelbar miteinander verbundenen Politikfeldern.
Kompetenzerweiterung – richtige Intention, falsches Ergebnis
Die nationalen Regierungs- und die europäischen Kommissionsexperten waren und sind die zentralen Akteure in dieser Situation. Das EP soll gleichzeitig die Interessen der europäischen Bürger direkt vertreten und mehr und mehr Macht bekommen. Eine bis heute ungelöste strukturelle Trennung des EP im Verhältnis zu den Bürgern hat jedoch zur Folge, dass eine weitere institutionelle Stärkung des EP der falsche Schritt wäre und sein Ziel Demokratiestärkung verfehlen würde.
Im Austausch mit der Zivilgesellschaft sollen die Abgeordneten im EP eine EU-weit mehrheitsfähige Politik schaffen und sind dabei selbstverständlich für Fachwissen auf die Expertise Dritter angewiesen. Die geringe Ausprägung politischer Partizipation durch die Zivilgesellschaft auf europäischer Ebene hat jedoch zur Konsequenz, dass vor allem bestimmte politische Akteure ihre Interessen übermitteln und durchsetzen können. Eine Stärkung des EP hätte daher die unmittelbare Konsequenz, den Einfluss von partikularen Interessengruppen auf die europäische Gesetzschreibung überproportional zu vergrößern. Und die daraus folgende Gesetzschreibung im Interesse Einzelner wird auf Kosten des europäischen Gemeinwohls gehen. Dementsprechend ist eine Stärkung des EPs, solange ausreichende politische Partizipation der Zivilgesellschaft nicht stattfindet und die Wahlbeteiligungen bei Europawahlen gering bleibt, der falsche Schritt.
Lösungsansatz vorhanden?
Eine Lösung des Demokratiedefizits der EU ist mittelfristig nicht die Stärkung der Kompetenzen des EP, sonder der partizipativen Möglichkeiten der Bürger Europas. Die Reflektion und Gestaltung des politischen Willens in Europa muss in Zukunft verstärkt auf europäischer und nicht mehr nur auf nationaler Ebene stattfinden. Die Verbesserung der Transparenz europäischer politischer Prozesse und die Retransmission populärer Debatten auf europäische Ebene durch vollwertig europäische Persönlichkeiten und politische Programme muss dabei der Ansatz sein. Dies ist noch nicht gegeben, was sich klar daran erkennen lässt, dass nationale Parteien das EP dominieren. Sie werden über nationale Listen gewählt und vertreten nicht Programme ihrer europäischen politischen Couleur, sondern nationale Interessen. So tragen sie vor allem auch zur Verhärtung national definierter Gräben bei.
Die politische Kultur Europas ist der Knackpunkt
Es treffen im Rahmen der EU unterschiedlichste nationale Konzeptionen von wie Politik verstanden und gemacht werden soll aufeinander. Wenn das europäische politische Umfeld zu einem echten politischen Raum erwachsen soll, dann braucht dies vor allem eines: Zeit. Erst wenn politische Sachverhalte, deren europaweite Bedeutung und daher europäische Diskussionswürdigkeit (wie etwa Energiepolitik und -sicherheit, Umweltpolitik, Immigrations- und Sicherheitspolitik, Arbeitsmarkt-, Finanz- und Wirtschaftspolitik, …) auch als solche erkannt werden kann es zur Schaffung europaweiter, eher durch soziale und weniger nationale Gengesätze und Konfliktlinien definierte Politikfindungsprozesse kommen. Nur so wird sich eine europäische politische Kultur entwickeln, die letztlich zur Entstehung einer echten europäischen parlamentarischen Demokratie führen wird. Diese wird dem Europäischen Parlament auf natürliche politische Art und nicht institutionell erzwungen, seine angestammte Rolle geben.
Dieser Artikel präsentiert bewusst nur eine der zahlreichen, divergierenden Meinungen zu diesem kontroversen Thema. Sein Inhalt entspricht nicht zwingendermaßen der persönlichen Meinung seines Verfassers. Bitte sehen Sie hierzu Die Philosophie von Duel Amical.
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